Donnerstag, 26. Juni 2014

Wie lange stillen?

"Waaaas, du stillst noch?"

Diese Frage hören Mamas heute ja schon ziemlich früh, finde ich. Hier folgen gute, wissenschaftlich fundierte Argumente für eine etwas längere Stillzeit -  sowohl für das Stillen im zweiten Lebenshalbjahr, als auch für das Stillen im zweiten Lebensjahr.
Meine Kurzantwort, wenn ich als Expertin gefrage werde: Die Stillzeit soll solange dauern, wie sie Freude macht.
 

Alle existierenden Studien zeigen eindeutig: Der Wert der Muttermilch lässt niemals nach, egal wie groß das Kind ist. Und alle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Gesundheit von Kindern  umso besser ist, je länger sie Muttermilch erhalten haben. Es gibt aus wissenschaftlicher Sicht keinen einzigen Grund, vom Stillen abzuraten weil das Baby größer wird.

Bioverfügbarkeit, Vitamine und Mineralien


Auch im zweiten Lebensjahr profitieren Kinder noch sehr von Muttermilch. In diesem Alter trinken Kinder selten mehr als zwei richtige Stillmahlzeiten, das sind ca. 500ml. Damit  können sie, bei gleicher sonstiger Nahrungsmenge, immerhin ein Drittel ihres Energiebedarfs (31%) decken und erhalten im Alter von 13-18 Monaten noch 25 % mehr Energie als abgestillte Kinder und immer noch 17 % mehr, sobald sie älter sind als 18 Monate. 
Im Einzelnen deckt dies den täglichen Bedarf an
  • Eiweiß zu 38 %
  • Vitamin C zu 95 %
  • Vitamin A zu 100 %
  • Calcium zu 44 %
  • Niacin zu 41 %
  • Folsäure zu 26 %
  • Riboflavin zu 21 % und
  • Eisen zu 50%
Eisen ist typisch für die gute Bioverfügbarkeit der Inhaltsstoffe der Muttermilch. Sehr interessant auch dies: Die Vitamin C-Konzentration der Muttermilch ist gegen Ende des ersten Lebensjahres 3,3 mal höher als im Blutplasma der Mutter. Selbst wenn die Mutter erniedrigte Vitamin C-Werte hat, wird es in der Milch bis zu 6-12fach angereichert. Stillkinder erhalten so höhere Konzentrationen an Vitamin C als Kinder, die künstliche, mit Vitamin C angereicherte Babynahrung, Gemüse und Früchten bekommen.
Wird ein Kind vor dem zweiten Geburtstag abgestillt, braucht es selbstverständlich viel mehr feste Nahrung als vorher – laut einer Studie wurden die anderen Nahrungsmittel um 60% erhöht – und auch das reicht nicht immer aus.  Unter Umständen kann ein abgestilltes Kind unter einem Energiedefizit leiden – ein Defizit um 28% laut einer Studie von 1982. Eine andere Studie zeigte, dass nicht gestillte Kinder nur 84% der vorgeschlagenen Kalorieneinnahme hatten, während noch gestillte Kinder 108% der optimal erachteten täglichen Kalorienmenge zu sich nahmen.

Muttermilch ist Immunschutz pur

Weil das größere Baby mehr Krankheitserregern begegnet, bekommt es in der Muttermilch eine zunehmende Menge an Antikörpern, die es dabei schützen. Im zweiten Lebensjahr erreicht dieser unnachahmliche Immunschutz teilweise ähnlich hohe Werte wie in der ersten Milch direkt nach der Geburt. Lysozym, das die Zellwand von Bakterien zerstört, ist z.B. in der Muttermilch eines Kindes von 18 Monaten in größerer Konzentration zu finden, als bei einem Kind von 6 Monaten. Die Muttermilch enthält weiterhin Immunstoffe gegen alle Krankheitserreger, denen Mama begegnet und schützt damit immer auch gleich direkt ihr Kind davor. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass Kinder, die lange Zeit gestillt werden, erst sehr viel später ihre ersten Infekte durchmachen. Wenn kleine Kinder krank sind lehnen sie oft jede Nahrung ab. Gestillte Kinder tun das auch, aber sie trinken doch gerne ihre Muttermilch. Dadurch werden sie schneller wieder gesund und erholen sich rascher von der Krankheit.
 
 
 
 
 
 
 

Wie lange will ich stillen - das sagt die Expertin:

Warum stillen viele Frauen früher ab als geplant? Und wie können sich stillende Mütter das Leben leichter machen? Darüber sprach ELTERN-Autorin Nora Imlau mit Vivian Weigert. Die Stillberaterin und Leiterin der Fachstelle für Säuglingsfragen e. V. in München hat gerade ein einfühlsames und hilfreiches Buch zum Thema veröffentlicht: "Stillen. Das Begleitbuch für eine glückliche Stillzeit" (Kösel, 14,95 Euro).
  • Fast alle Schwangeren geben in Umfragen an, ihr Baby die empfohlenen vier bis sechs Monate voll stillen zu wollen. Weniger als der Hälfte gelingt das. Fehlt es deutschen Müttern an Durchhaltevermögen?
Nein, und auch nicht an gutem Willen. Wenn eine Stillbeziehung nach wenigen Wochen endet, dann in den seltensten Fällen auf Wunsch der Mutter. 'Bei mir hat's leider nicht geklappt“, sagen mir diese Frauen traurig. Dieses Bild ist immer noch in den Köpfen: dass Stillen irgendwie Glückssache ist. Die einen können's, die anderen nicht. Und in Wirklichkeit? Kann es praktisch jede Frau - wenn sie die richtige Beratung und Unterstützung bekommt.
  • Ein Satz, den viele Frauen nicht gern hören.
Ja, weil er für sie wie ein Vorwurf klingt: Jede kann stillen - warum nicht auch du? So meine ich ihn aber nicht. Ich will Frauen vielmehr Mut machen: Ihr habt die wunderbare Gabe, euer Baby an der Brust ernähren zu können. Lasst euch das nicht nehmen, sondern fordert die Hilfe ein, die ihr braucht. Denn die Gründe für unfreiwilliges frühes Abstillen sind immer die gleichen. Entweder starke Schmerzen beim Stillen oder das Gefühl, das Baby würde nicht satt. Probleme, die mit der richtigen Stillberatung oft gar nicht erst auftreten würden - oder schnell gelöst werden könnten.
  • Wie können Frauen sonst noch verhindern, dass sie unfreiwillig früh abstillen?
Wir wissen heute, dass die ersten Stunden nach der Geburt ungeheuer wichtig sind für die Stillbeziehung. Also sollten Mütter darauf bestehen, in dieser Zeit nicht von ihrem Baby getrennt zu werden. So kann die U1 beispielsweise auch auf dem Bauch der Mutter gemacht werden, und alle Routine kann warten, bis das Baby zum ersten Mal an der Brust lag.
  • Wenn dann das Stillen gut und schmerzfrei klappt ...

...genießen es die meisten Frauen sehr. Das Baby wächst und gedeiht, und in dieser Phase denken die wenigsten Mütter ans Abstillen. Das ändert sich allerdings recht zuverlässig mit dem vierten Lebensmonat.
  • Was ist da los?
 In diesem Alter lassen sich Babys leicht ablenken. Sehen sie beim Trinken etwas Spannendes, zappeln sie herum, docken sich ab - und holen in der Nacht die Milchmahlzeiten des Tages nach. Die Mütter haben nachts also stündlich ihr Kind an der Brust, sind erschöpft und denken dann: Wahrscheinlich reicht meine Milch eh' nicht mehr!
  • Was ist die Alternative?

Das Baby ganz bewusst tagsüber mindestens alle drei Stunden an die Brust zu legen und durch häufigeres Wechseln beider Seiten die Mahlzeiten tagsüber wieder zu verlängern, nachts hingegen nur das Minimum anzubieten.
  • Dann werden die Nächte von selbst besser?
Meistens, ja. Allerdings brauchen Babys etwa zwei Wochen, um sich umzustellen. Leider beobachte ich immer wieder, dass Mütter denken, sie dürften nicht in den Stillrhythmus eingreifen. Schreibt eine Mutter in einem Internetforum, dass sie von den durchgestillten Nächten völlig erschöpft ist, kriegt sie oft zur Antwort: "Halt durch und gib deinem Baby jederzeit, was es braucht!" Damit wird ihr Problem aber weder ernst genommen noch gelöst, denn das Baby könnte seinen Bedarf auch tagsüber stillen. Viele Frauen wollen vor allem deshalb abstillen, weil sie den Schlafmangel nicht mehr aushalten. Wenn ich ihnen dann vorschlage, erst mal nur nachts abzustillen, sind sie ganz verblüfft. Das soll gehen? Klar geht das!
  • Und wie genau?

Indem es in einem bestimmten Zeitfenster nachts keine Milch mehr gibt, während man tagsüber für ein ausreichendes Angebot sorgt. Ist ein Baby älter als sieben oder acht Monate, sehe ich darin kein Problem. Natürlich ist es wichtig, ein Baby mit dem Frust über die Umstellung nicht allein zu lassen, es zu trösten und mit ihm zu kuscheln. Aber meist akzeptieren Babys diese neue "Still-Ordnung" schnell und schlafen in der nächtlichen Pause durch - und die Mutter ist dann so ausgeschlafen, dass sie das Stillen tagsüber wieder genießen kann.
  • Sie betonen die Vorteile des Stillens übers erste halbe Jahr hinaus. Schlimm, wenn eine Mutter dazu keine Lust mehr hat?
Nein. Entscheidet sich eine Frau bewusst dafür, abzustillen, gibt es daran nichts auszusetzen. Traurig ist nur, wenn sie selbst das Gefühl hat, es sei zu früh - etwa, weil jemand sie dazu drängt.
  • Wann ist denn aus Ihrer Sicht der optimale Zeitpunkt?

Ganz einfach: wenn eine Mutter merkt, dass sie nicht mehr stillen will. Nicht, weil die anderen sagen, sie sei eine Glucke. Sondern weil sie selber spürt: Jetzt ist es genug. Eine zu kurze Stillzeit gibt es übrigens nicht. Stillen ist immer wertvoll. Egal, ob eine Mutter ihrem Kind einige Wochen oder viele Monate lang die Brust gegeben hat - sie kann in jedem Fall sehr stolz darauf sein. Denn: Eine zu kurze Stillzeit gibt es nicht!

Wie lange will ich stillen - eine Frage der Kultur

Darüber erhitzen sich die Gemüter. Warum? Weil die Frage nach der Stilldauer zunächst einmal eine kulturelle ist: Die durchschnittliche Gesamtstilldauer liegt zwar weltweit bei etwa 30 Monaten, doch die regionalen Unterschiede sind immens. Während bei dem afrikanischen Stamm der Kung drei bis vier Jahre üblich sind, beantworten viele französische Mütter die Frage nach dem richtigen Abstill-Zeitpunkt ganz nüchtern: "zum Krippenstart" - also mit etwa sechs Wochen. Oder sie fangen erst gar nicht damit an, die Brust zu geben.

Wie lange will ich stillen - das sagt die Wissenschaft

Studien belegen, dass eine längere Stillzeit für Mutter und Kind gesundheitlich nur Vorteile hat. Deshalb empfiehlt etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) explizit auch Müttern in Industrienationen, ihr Kind begleitend zu altersangemessener Beikost bis zum zweiten Geburtstag oder sogar darüber hinaus zu stillen, wenn es ihnen damit gut geht. Gleichzeitig ist auch klar: Diese Empfehlung hat hier lange nicht die Dringlichkeit wie etwa in Entwicklungsländern. Denn wir haben das Privileg, jederzeit auf hochwertige Babynahrung zurückgreifen können. Zusammengefasst heißt das: Mütter können ihr Kind mit gutem Gewissen so lange stillen, wie sie möchten. Und wenn sie genug haben, ist es genug - ob nach einigen Wochen oder nach vielen Monaten.